5/2/7 | Tradition in der Wiener Moderne

Tradition in der Wiener Moderne

 

 

Am 15. und 16. Dezember 2014 veranstaltete das Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaften und der Wienbibliothek das Symposium "Tradition in der Wiener Moderne".

„Sie verehren die Tradition. […] Sie möchten das alte Werk der Vorfahren für ihre neuen Zeiten richten. Sie möchten es auf die letzte Stunde bringen. Sie wollen, wie jene, österreichisch sein, aber österreichisch von 1890“, so Hermann Bahr in seinem programmatischen Aufsatz Das junge Österreich, in dem er die Literaten des ‚Aufbruchs‘ in die Wiener Moderne (Rieckmann) als Gegenbild zum traditionskritischen, revolutionären Jungen Deutschland zu positionieren und ihre spezifische Qualität in der Verbundenheit mit der Tradition zu fassen sucht. Sie hätten eine Erneuerung im Lichte der Tradition im Sinn, und so heißt es bei Bahr, dem „Mann von Übermorgen“ (Maximilian Harden), in seinem retrospektiven Selbstbildnis nicht zufällig: „Mein Zukunft mit Ungeduld verlangender Blick kehrt seit je doch am liebsten bei längst entschwundenen Vergangenheiten ein, da hole ich mir die Zukunft.“

Literarische Produktion als selektive Mnemotechnik (Le Rider), durch die das Neue, Originäre erst in der produktiven Wieder-Holung hervorgebracht wird. Das Vergangene wird so auch als etwas vertrautes Fremdes im Archiv der Zeit bewahrt (Niefanger). In Hofmannsthals Vorstellung von der Antike als einem „magischen Spiegel, aus dem wir unsere eigene Gestalt in fremder, gereinigter Erscheinung zu empfangen hoffen“, wie er im Buch der Freunde formuliert, scheint dies anschaulich dokumentiert. Ein vertrautes Fremdes, das Sicherheit gibt in der unvertrauten Moderne, einer Welt, in der „alle Sicherheit und Herrschaft über das Leben rätselhaft vermindert“ ist, wie Hofmannsthal im D’Annunzio-Essay schreibt, „bei immerwährendem Anwachsen des Problematischen und Inkommensurablen“. Eine Diagnose, die heute noch und heute wieder Gültigkeit beanstanden kann.

In der geschichtlichen Rückwendung, dem historistischen Zugriff auf das grenzenlose Zeichenmaterial der Vergangenheit, scheint sich indes auch ein eklatanter Mangel an Eigenem zu offenbaren. In „Erfüllung seiner Traditionspflicht“ habe Wien, wie Hermann Broch in Hofmannsthal und seine Zeit schreibt, „Museumshaftigkeit mit Kultur“ verwechselt. Dieses „österreichische Verfallszeichen“ (Broch) wirke, so Richard Schaukal, bis in die Wiener Wohnung hinein, deren Ausgestaltung eine „Mixtum-Komposition aus den Exkrementen einer mit unverdauter ‚Historie‘ überfütterten ‚Dessin‘-speicherphantasie“ sei, wie es in seinen Bemerkungen zur ästhetischen Wohnungsnot heißt. Eine „unverdaute“ Historie, die das Leben der bildungsaffinen Literaten der Wiener Moderne überformt und überfordert – „ fremde Gedanken denken in einem, alte, tote, künstliche Stimmungen leben in einem, man sieht die Dinge wie durch einen Schleier, wie fremd und ausgeschlossen geht man im Leben herum“, so Hofmannstal in einem Brief an Karg von Bebenburg.

Die Konferenz „Tradition in der Moderne“ nahm eben jene Dialektik von Tradition und Moderne, Modernität und Antimodernität mit Blick auf wichtige Vertreter der Wiener Moderne in der Frühphase ihres schriftstellerischen Schaffens, Leopold von Andrian, Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Richard Schaukal und Arthur Schnitzler in den Blick.

Momentan entsteht ein Sammelband, der alle 16 Vorträge vereint.

Symposiums-Plakat