4/4/5 | Programmlinien / Programmlinien erste Phase / Ernst Jandl
Biographie Ernst Jandl
Am 11. Juni 1965 geriet eine spektaktuläre Gruppenlesung in der Londoner Royal Albert Hall zum Ereignis. Der zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannte Ernst Jandl provozierte mit dem Vortrag seiner Lautgedichte vor 7000 Zuhörern „a pandemonious riot“, wie ein zeitgenössischer Kommentator festhält. Heute kann der Vortragskünstler Ernst Jandl als einer der bekanntesten deutschsprachigen Lyriker nach 1945 bezeichnet werden, dessen Gedichte weit mehr als die berühmten 1500 potenziellen Lyrikkonsumenten erreichten und erreichen. Das Werk – neben den Gedichten Hörspielen, Theatertexten, Essays und Übersetzungen – verdankt seine Sprachvielfalt in nicht unerheblichem Maße der poetischen Anverwandlung von Alltagssprachen. So entstanden Sprech- und Lautgedichte, visuelle Gedichte, ‚Oberflächenübersetzungen‘, Texte in ‚heruntergekommener Sprache‘. Der programmatische Anspruch auf Innovation findet seine Entsprechung in der faszinierenden Materialvielfalt in Jandls Nachlass im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.
Ernst Jandls Stellung innerhalb der internationalen Avantgarde sowie seine Verbindung von Experiment und Autobiographie fordern dazu heraus, die in theoretischen Überlegungen formulierte Kritik an konventionellen biographischen Mustern ernst zu nehmen und neue Wege biographischer Darstellung zu suchen.
Die in Arbeit befindliche Ernst Jandl-Biographie wird Knotenpunkte bilden, in denen sich verschiedene Komplexe bündeln. Exemplarisch hierfür ist das Kapitel „Biographie einer Stimme“, in dem mediale Aspekte, der religiöse Hintergrund der Jandlschen Sozialisation, sein Status als Performancekünstler und seine Affinität zum Englischen mit biographischen Konstellationen und theoretischen Konzepten zu Stimme und Performanz verknüpft werden.
Damit verbunden ist das Projekt einer Ernst Jandl-DVD, die als Alternativmodell zu herkömmlichen Biographien konzipiert ist und im November 2010 erschienen ist. Diese multimediale DVD nützt die Möglichkeiten hypertextueller Vernetzung. Die immer wieder neuen Navigationspfade ermöglichen eine Vielzahl an Zugängen zum vielschichtigen (Lebens-)Material.
Wieder eine andere Präsentationsform zeigte eine Ausstellung im Wien Museum vom 4. November 2010 bis 13. Februar 2011: „Die Ernst Jandl Show“ inszeniert die Vielseitigkeit, Intermedialität und Internationalität des Jandlschen Werkes. Ernst Jandl wird als Künstler sichtbar, der an Schnittstellen von Literatur, Musik und Bildender Kunst arbeitete und dessen überlieferte Lebens- und Arbeitsmaterialien den Begriff des (Auto-)Biographischen in neuem Licht erscheinen lassen. Zu der Ausstellung erschien ein Begleitband.